5. Mai 2015

Soziale Arbeitspolitik



Beschlossen auf der 54. Landesmitgliederversammlung in Koblenz, 17.04.2015

0. Was ist Arbeit?

Dem klassischen Arbeitsbegriff stellt die GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz einen Arbeitsbegriff entgegen, der Erwerbsarbeit, schöpferische Arbeit und unentgeltliche Arbeit zusammenfasst. Der Begriff Arbeit darf nicht automatisch nur an Entlohnung gekoppelt sein. Auch unentgeltliche Arbeiten, wie ehrenamtliches, soziales oder politisches Engagement, künstlerische Aktivitäten, Hausarbeiten, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen müssen stärker in den Arbeitsbegriff einfließen und gesellschaftliche Wertschätzung erfahren.

Einkommen an Erwerbsarbeit zu koppeln, ist nicht mehr zeitgemäß. Mit zunehmendem technischem Fortschritt gibt es einen enormen Zuwachs an Produktivität. – dennoch haben die Menschen nicht mehr freie Zeit zur Verfügung und auch der gesellschaftliche Wohlstand ist nicht gleichmäßig verteilt, sondern Armut und soziale Ungleichheit nehmen zu. Erwerbsarbeit reicht zunehmend nicht mehr aus, um den Lebensunterhalt zu sichern – es ist eine ökonomische Entwertung der Arbeit zu beobachten. Gleichzeitig werden Einkommen zunehmend ohne Arbeit erzielt. Während Kapitalist*innen durch den Kauf von fremder Arbeitskraft und ohne den Einsatz eigener Arbeitskraft ihr Vermögen weiter steigern können („Rendite“), sind Arbeitnehmer*innen davon abhängig, ihre Arbeitskraft gegen Geld einzutauschen.

Im folgenden stellt die GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz Forderungen für eine soziale Arbeitspolitik, denn Arbeit soll es Menschen ermöglichen, ihre individuellen Lebensentwürfe zu verwirklichen.

1. Arbeit und Gesellschaft

Wir wollen Subsistenzarbeit, also die Erwerbstätigkeit zur Existenzsicherung abschaffen und einen soziokultureller Wandel einleiten, der mehr Menschen eine Perspektive und die Möglichkeit der Entscheidung frei von Zwängen gewährleistet. Deshalb fordern wir ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Grundeinkommen soll allen Bürger*innen individuell und garantiert ohne den Zwang einer Gegenleistung zustehen. Es dient als staatlich finanzierte Grundsicherung, auf die alle unabhängig ihres Einkommens, ihres Alters und ihres Tätigkeitsfeldes einen gesetzlichen Anspruch haben. Kindern steht ebenfalls elternunabhängig das Grundeinkommen zu.

Das bedingungslose Grundeinkommen schafft persönliche und berufliche Freiräume. Menschen werden dazu ermutigt, Eigeninitiative zu ergreifen und sich fortzubilden oder sich selbstständig zu machen. Dazu muss es beim Niveau eines realistischen soziokulturellen Existenzminimums ansetzen. Gegenüber dem physischen Existenzminimums zur reinen Abdeckung der Grundbedürfnisse, garantiert das soziokulturelle Existenzminimum darüber hinaus ein Recht auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Laut OECD liegt es momentan bei 938 Euro.

Zur Finanzierung des Grundeinkommens muss das Steuersystem grundlegend verändert werden. Dafür ist eine Erhöhung der Einkommenssteuer nötig, wobei das Grundeinkommen ausgenommen wird. Vermögens- und Kapitalertragssteuern müssen ebenfalls steigen. Da das bedingungslose Grundeinkommen alle Sozialausgaben zusammenführt, kommt es zu mehr Gerechtigkeit und Bürokratieabbau.

Wir fordern:

  • ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle
  • den soziokulturellen Wandel vom Arbeitszwang zur individuellen Selbstverwirklichung
  • Bürokratieabbau und die Abschaffung von Nachweispflichten

Seit Januar 2015 liegt die „Grundsicherung“ für Langzeiterwerbslose in Deutschland bei 399 Euro im Monat. Die Bundesagentur für Arbeit stellt alle Betroffenen unter den Generalverdacht der Arbeitsverweigerung und bedient sich einem Katalog von Pflichten, die bei Nichteinhaltung zu menschenunwürdigen Sanktionen, wie Leistungskürzungen oder der Streichung des gesamten Leistungsbezugs, führen. Dadurch erliegen die betroffenen Personen dem Zwang, „Arbeitsmaßnahmen“ annehmen zu müssen, oftmals schlechter bezahlte Leiharbeit oder aber nicht ihrer Qualifikation entsprechende Arbeiten. Eine umfangreiche Überwachung durch regelmäßige Pflichtbesuche bei der Behörde oder sogar behördliche Hausbesuche treiben es auf die Spitze. Die GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz lehnt dieses repressive und ungerechte System ab. Es dürfen sich keine gesellschaftlichen Anerkennungshierarchien aufbauen, die durch Erwerbstätigkeit definiert werden.

Wir fordern:

  • eine wirkliche Grundsicherung ohne einkommensmindernde Sanktionen
  • die Abkehr vom Generalverdacht der Arbeitsverweigerung
  • einen menschenwürdigen Umgang mit Betroffenen

2. Arbeit und Bezahlung

Die GRÜNE JUGEND fordert angemessene Löhne für geleistete Erwerbsarbeit, die nicht zu gesellschaftlicher Ungleichheit führen. Allerdings wird diese Ungleichheit durch die herrschende Lohnungleichheit der Geschlechter und Leiharbeit voran getrieben. Der aktuelle Mindestlohn und Freiwilligendienste sorgen für eine Minderbezahlung von Arbeitsmarktteilnehmenden.

Eine gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit muss gewährleistet werden. Die Erwerbsquote von Frauen in Rheinland-Pfalz liegt bei nur 50,6% und damit unter dem bundesweiten Schnitt. Frauen in Erwerbsarbeit verdienen meist deutlich weniger als gleichqualifizierte männliche Kollegen. Frauen arbeiten oft in Teilzeit, haben eher befristete Arbeitsverträge und sind dadurch häufiger von Armut, besonders von Altersarmut, betroffen als Männer. Durch diese Lohnungleichheit werden diskriminierende Rollenbilder weiterhin geschützt. Die Einführung von Leiharbeit war ein schwerwiegender Fehler, denn diese degradiert Menschen zu Handelswaren. Arbeiter*innen werden für weniger Lohn von Unternehmen zu Unternehmen verschoben und immer weniger Leiharbeitsverhältnisse bleiben länger als drei Monate bestehen.

Die GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz befürwortet einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn. Der seit Anfang 2015 geltende Mindestlohn ist dabei nur ein Schein-Mindestlohn. 8,50€ sind uns zu wenig und die Ausnahmen durch die Bundesregierung eine Frechheit. Der Mindestlohn muss für alle Menschen in allen Branchen gelten. Außerdem diffamiert der Gesetzentwurf Langzeitarbeitslose, die erst sechs Monate nach Wiedereinstieg in einen Beruf den Mindestlohn erwarten können.

Auszubildende und Freiwilligendienstler*innen fallen nicht unter den Mindestlohn und werden stattdessen nur mit geringen Aufwandsentschädigungen vergütet. Als GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz sehen wir die Ausbildung und den Freiwilligendienst als ersten Schritt in die Berufswelt. Junge Menschen nehmen dadurch oft erstmals am Arbeitsmarkt teil und sollten auch eine Bezahlung erhalten, die Grundbedürfnisse abdeckt und sie unabhängig von Eltern und Staat macht. Auszubildende und Freiwillige dürfen nicht als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden und es muss sichergestellt werden, dass das Lernverhältnis für Freiwillige erhalten bleibt. Dafür fordern wir klare Kontrollen.

Die Möglichkeiten für ein Freiwilliges Soziales, Ökologisches und Kulturelles Jahr, genauso wie den Bundesfreiwilligendienst (BFD) begrüßen wir und wollen diese politisch fördern. Ein Nebeneinander des vom Bund geförderten BFD und den Freiwilligendiensten der Länder ist allerdings nicht sinnvoll.

Wir fordern daher:

  • die Lohngleichheit der Geschlechter
  • die Abschaffung von Leiharbeitsverhältnissen und gleichen Lohn für gleiche Arbeit
  • einen Mindestlohn von 10,00 Euro für alle ohne Ausnahmen
  • die Höhe des Gehalts bei Auszubildenden und des Taschengelds bei Freiwilligen so anzupassen, dass es mindestens zur Deckung des Lebensunterhalts ausreicht

3. Arbeit und Recht

Betriebsräte sind eine Art der Mitbestimmung und Interessenvertretung für Arbeitnehmer*innen gegenüber den Arbeitgeber*innen. Sobald ein Betrieb fünf ständig beschäftigte Mitarbeiter*innen vorweist, sind diese dazu berechtigt einen Betriebsrat zu wählen. Hierfür muss die Initiative allerdings von ihnen ausgehen. In vielen Branchen wird daher auf die Arbeitnehmer*innen Druck ausgeübt keinen zu gründen. Gerade im Einzelhandel findet sich dieses Phänomen sehr stark. Hier gelten einzelne Filialen als Betriebe und es wird den Arbeitnehmer*innen fast unmöglich gemacht, Betriebsräte zu gründen. Sollten Arbeitnehmer*innen, aus Filialen mit Betriebsrat, in Filialen ohne Betriebsrat versetzt werden, gelten diese als „Betriebsratsverseucht“.

Wir fordern:

  • Eine gesetzliche Pflicht zur Bildung von Betriebsräten, sobald 3 wählbare Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind

4. Arbeit und Zeit

Der Übergang von Arbeitszeit zu Freizeit wird immer fließender. Oftmals wird das Privattelefon auch für dienstliche Telefonate benutzt und somit bleibt der Arbeitende rund um die Uhr auch für dienstliche Gespräche erreichbar. Arbeit wird mit nach Hause genommen oder generell ein Teil der Arbeitszeit zu Hause verbracht. Die Vorgabe eines gewissen Pensums führt zur Vernachlässigung von aktiven Pausen, zu fließenden Arbeitszeiten und Mehrarbeit.

Als GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz wollen wir nicht, dass Erwerbsarbeit zur einzigen Identifikationsquelle wird. Die Flexibilität, die Arbeitgeber*innen von ihren Angestellten verlangen, müssen die Arbeitnehmer*innen auch von ihren Arbeitgeber*innen einfordern können, um Zeit für Angehörige oder sich selbst zu finden. Immer häufiger hört man von Krankheiten wie dem Burn-Out-Syndrom, hervorgerufen durch eine intensivierte Arbeitszeitverdichtung. Diese muss entzerrt werden, z.B. durch die Einführung eines Sabbatjahrs für alle Unternehmen, eine Auszeit von 12 Monaten oder auch weniger.

Unsere Gesellschaft lebt von ehrenamtlichem Engagement. Wir wollen dieses ermöglichen! Gute Arbeitsbedingungen dürfen aber dadurch nicht verdrängt werden.

In der kapitalistischen Leistungsgesellschaft, in der wir leben, lassen eng getaktete Regelstudienzeiten sowie volle Ausbildungs- und Arbeitszeiten immer weniger Zeit für Freiräume, die Engagement ermöglichen. Außerdem wird es Menschen, die nicht finanziell abgesichert sind, nahezu unmöglich gemacht, sich ehrenamtlich zu engagieren. Wer sich ehrenamtlich engagiert, steht damit vor besonderen Herausforderungen. Wir möchten Zeit für ehrenamtliches Engagement – egal welcher Art – schaffen.

Daher fordern wir:

  • Flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit auch längere Auszeiten zu nehmen
  • 30 Stunden als maximale gesetzliche Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich
  • die Freistellung von Arbeitnehmer*innen, Schüler*innen, Auszubildende und Studierende für ehrenamtliche Tätigkeiten
  • eine Anerkennungskultur ehrenamtlichen Engagements, sowie allgemein bessere Rahmenbedingungen


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