3. April 2010

Massive Einschränkung der BürgerInnenrechte ist nicht hinnehmbar



Beschlossen auf der 2. Lenkratssitzung am 08.11.2003 in St. Goar

Die Grüne Jugend wendet sich gegen den Entwurf der rheinland-pfälzischen Landesregierung zur Änderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG, Drs. 14/2287), mit denen die Landesregierung die Polizei neu positionieren will.

In dem Gesetzentwurf werden die Befugnisse der Polizei zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ausgeweitet. Die Polizei soll mit den neuen Eingriffsbefugnissen wie Telefonüberwachung oder den großen Lausch- und Spähangriff befähigt werden, bereits die Entstehung von Gefahrenlagen zu verhindern. Diese Überwachung auf Verdacht lehnt die Grüne Jugend ab. Sie können Persönlichkeitsrechte schwerwiegend verletzen und schränken das Grundrecht der BürgerInnen auf eine geschützte Privatsphäre ein. Ohne nachvollziehbare Begründung manövriert sich die SPD/FDP-Koalition in Rheinland-Pfalz in die schlechte Gesellschaft von Bayern, Thüringen und Niedersachsen, wenn es um massive Grundrechtseinschränkungen geht.

Die Grüne Jugend Rheinland-Pfalz wendet sich insbesondere gegen:

  • Die Telefonüberwachung ohne Verdacht (§ 31 POG neu). Die präventive Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) soll zur Gefahrenabwehr, also ohne konkreten Anfangsverdacht möglich werden. Es reicht eine Prognose über eventuell drohende Ereignisse: Personenbezogene Daten sollen nun erhoben werden können durch die Überwachung von Inhalten der Telekommunikation (Telefonüberwachung, Abfangen von  e-Mails, Telekommunikationsverbindungsdaten, Standortfeststellungen und die Erstellung von Bewegungsbildern, Einsatz sog. IMSI-Catcher zur Feststellung der Identitätsnummer eines Mobiltelefons), durch die Verpflichtung der Telekommunikationsdienstleister, Überwachung und Aufzeichnung zu ermöglichen und Auskünfte erteilen.
  • Die Einführung des Großen Späh- und Lauschangriffs(§ 29 in Verbindung mit § 28 Abs. 2 Nr. 2 POG neu). Die Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz von Wanzen und Video-Kameras („Großer Lausch- und Spähangriff“) in und aus Wohnungen, mit nach jeweils drei Monaten zu erneuerndem richterlichen Beschluss wird zeitlich unbegrenzt möglich.
  • Die Rasterfahndung (§ 38 POG neu). Die Rasterfahndung soll eingeführt werden und zwar nicht nur zur Abwehr dringender Gefahren, sondern auch zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung und ohne Richtervorbehalt. Bei dieser Maßnahme, die eine Vielzahl von Unbeteiligten trifft, hält die Grüne Jugend Rheinland-Pfalz die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriff und Maßnahme, zumal sie ohne Prüfung durch einen Richter erfolgt, für nicht gegeben.
  • Die Aushöhlung der Rechte der Berufsgeheimnisträger (Journalisten, Drogenberater, Priester und Pfarrer) durch die neuen Vorschriften beim Großen Späh- und Lauschangriff und bei der präventiven TKÜ, die neuen Antwortpflichten von Rechtsanwälten und Ärzten zur Gefahrenabwehr.

Die Grüne Jugend sieht keinen Grund für diese massive Ausweitung der Überwachung durch die Polizei, da keine Defizite in der Gefahrenabwehr bekannt sind, die eine derartige Verschärfung rechtfertigen.

Für den POG-Entwurf wurde die rheinland-pfälzischen Landesregierung am vergangenen Freitag gemeinsam mit Thüringen, Bayern und Niedersachsen mit dem ‚Big Brother Award‘ ausgezeichnet. Der ‚Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs‘ (FoeBuD, www.foebud.org) verleiht den Big Brother Award in Deutschland seit dem Jahr 2000 für besonders krasse Einschränkungen der BürgerInnenrechten im Bereich des Datenschutzes.

In diesem Jahr bekam die rheinland-pfälzische Landesregierung diesen „Preis“, weil sie im Windschatten der Terrorismusbekämpfung die Verschärfung ihrer Landespolizeigesetze betreiben und damit drastische Einschnitte in die Grundrechte einer Vielzahl unverdächtiger Personen einkalkulieren.

Wo die Prävention zur vorherrschenden Polizeilogik erhoben wird, da verkehren sich allmählich die Beziehungen zwischen BürgerIn und Staat, da verliert eine der wichtigsten rechtsstaatlichen Errungenschaften, nämlich die Unschuldsvermutung, unter der Hand ihre Macht begrenzende Funktion. Der Mensch mutiert zum (potenziellen) Sicherheitsrisiko – ein generalisiertes Misstrauensvotum, wie es schon bei der verdachtsunabhängigen Schleier- und Rasterfahndung sowie bei der ausufernden Video-Überwachung im öffentlichen Raum zum Ausdruck kommt, in die alle Passanten einbezogen werden, ohne zu wissen, was mit den Aufzeichnungen anschließend geschieht.

Die neuen Instrumente machen einem präventiven Überwachungsstaat alle Ehre – einem Sicherheitsstaat, in dem Rechtssicherheit und Vertrauen allmählich verloren gehen, Verunsicherung und Verängstigung gedeihen.



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