Liquid Democracy
Beschlossen von der 43. Landesmitgliederversammlung in Haßloch
Demokratie bedeutet Teilhabe. Teilhabe sollte prinzipiell bedeuten, dass Menschen unabhängig von Rasse, Farbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft, Geschlecht, Glauben, politischer Meinung, sozialer Herkunft, Sexualität, Gruppenzugehörigkeiten, Vorlieben oder sonstigen Individualitäten sowohl in Abstimmungen als auch in Wahlen ihrer Stimme Geltung verleihen können. Es muss daher das erklärte Ziel jedes demokratischen, emanzipatorischen Verbands sein, möglichst vielen Mitgliedern diese Teilhabe in Form von Mitspracherechten zu ermöglichen. Dies bedeutet auch, zu jeder Zeit gezielt zu einzelnen Themen verbindlich Stellung beziehen zu können.
Wir, die GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz, verstehen und bekennen uns als ein basisdemokratischer Jugendverband: Mit zwei Landesmitgliedersammlungen pro Jahr, mit der basisdemokratischen Abstimmung all unserer Positionen und der demokratischen Legitimation unserer Delegierten ist dafür ein gutes Fundament gelegt. Es ist unser erklärtes Ziel, verknöcherte Strukturen, Hierarchie und Diskursausschluss zu verhindern und eigene Ideen, Initiative, Kreativität und ein emanzipatorisches Gesprächsklima zu fördern.
Im Informationszeitalter haben sich die Voraussetzungen verändert. Wir haben dies erkannt und möchten das für uns nutzten: Basisdemokratischer Diskurs ist mithilfe des Internets auch in größeren Gruppen und Verbänden und abseits von Landesmitgliederversammlungen möglich. Mit diesem Antrag möchten wir daher den nächsten Schritt gehen und einen Vorstoß in Richtung “Liquid Democracy” wagen:
Was ist Liquid Democracy?
Während bei Formen indirekter Demokratie RepräsentantInnen zur Vertretung der eigenen Interessen bestimmt werden, werden bei Formen direkter Demokratie alle Interessen selbst wahrgenommen. Liquid Democracy stellt einen fließenden (engl. liquid) Übergang zwischen direkter und indirekter Demokratie dar: JedeR BeteiligteR kann selbst entscheiden, ob sie/er in einer Wahl oder Abstimmung selbst ihre/seine Interessen vertritt, oder in wie weit sie/er sich von Anderen vertreten lassen möchte.
Dabei kann sich die Übertragung auch nur auf einzelne Entscheidungen und Bereiche erstrecken, in denen die/der WählerIn einer anderen Person mehr Entscheidungskompetenz zutraut. Diese Übertragung ist jedoch nur temporär und kann jederzeit aufgehoben werden, z. B. indem die/der WählerIn selbst durch Wahl an einer Entscheidung teilnimmt. Mensch muss hierzu nicht bis zu einer neuen Wahlperiode warten: Es ergibt sich ein ständig im Fluss befindliches Netz von Delegationen und ein System des offenen parteiinternen Diskurses in dem nicht nur alle beteiligt sind, sondern auch konstruktiv an den abzutimmenden Vorschlägen mitarbeiten können. In der Gesellschaft könnte Liquid Democracy wie folgt funktionieren: Mensch delegiert seine Stimme bei einem Umweltschutzthema den Grünen, bei einer Abstimmung über Wahlalter der Grünen Jugend und bei einer Diskussion über Kriegseinsätze stimmt mensch selbst ab.
In der GRÜNEN JUGEND Rheinland-Pfalz könnte Liquid Democracy wie eine permanente Landesmitgliederversammlung funktionieren: JedeR kann (online) Anträge stellen, diskutieren und/oder seine/ihre Stimme anderen delegieren. Es kann über Software wie LiquidFeedback beispielsweise jederzeit die Seminarplanung des Beirats transparent gehalten werden, dem die Stimme für die inhaltliche Seminarplanung delegiert wurde. Andererseits kann jedes Mitglied dazu anmerken, was man bessern könnte und die (Nach-)Wahl von LaVomitgliedern wäre jederzeit möglich.
Es ist dabei gewissermaßen das Ziel, Entscheidungen nicht-organisatorischer Art “von oben” einzudämmen.
Barriefrei! On- und Offline
Auch wenn Liquid Democracy prinzipiell auch offline anwend- und einsetztbar ist, ist das wahre Potenzial dieser Demokratieform erst mittels Onlinesoftware nutzbar. Auch im Informationszeitalter sind jedoch in Deutschland bislang nur 2/3 aller Haushalte mit Internetzugang versehen. Die GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz sieht hierin einen eklatanten Mangel:
Basisdemokratie funktioniert nur, wenn niemand vom Diskurs oder Abstimmungen ausgeschlossen wird. Wir setzten uns daher nicht nur für einen Ausbau der DSL-Breitbindungen in Rheinland-Pfalz und kostenlosen Internetzugang in Schulen ein. Die GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz fordert darüber hinausgehend Sensibilität beim Umgang “Offlinern”, angemessene Fristen um sich auch fern des Heimcomputers (also z.B. In Schulen oder Internetcafés) an Liquid Democracy beteiligen zu können und gegebenenfalls die Erstattung angefallener Kosten durch die Nutzung selbiger. Wir treten für ein World Wide Web ein, das für jedeN zugänglich ist und niemanden ausschließt. Wir treten für eine Demokratieform ein, die für alle erlern- wie erlebbar ist, jedem und jeder Beteiligung ermöglicht und setzten uns auch in Zukunft mit dem Problem struktureller Diskriminierung auseinander.
Die GRÜNE JUGEND Rheinland-Pfalz – Ein demokratischer Verband von morgen
Die obigen Beispiele zeigen bereits, dass zwischen der Binnendemokratie in einem Verband und den demokratischen Strukturen in einer Gesellschaft zu trennen ist. Da Liquid Democracy prinzipiell auf beides anwendbar ist, versuchen wir zunächst – ähnlich einigen Landesverbänden der Piratenpartei – diese Form basisdemokratischer Entscheidungsfindung in unserem eigenen Verband auszuprobieren.
Die GJRLP erkennt im Liquid Democrcy Konzept ein gewisses Potential und möchte sich weiter damit beschäftigen. Dazu beauftragen wir vorerst unser Fachforum Demokratie bis zur nächsten Landesmitgliederversammlung verschiedene Software von LiquidDemocracy wie Adhocracy, Votorola oder LiquidFeedback auszuprobieren und die Anforderung an ein transparentes, (daten)sicheres System sowie gegebenenfalls einen Satztungsänderungsantrag für künftige Entscheidungsfindungen auszuarbeiten. Das FaFo soll auf einer der nächsten LMVen einen Bericht vorlegen und Vorschläge zum weiteren Verfahren unterbreiten. Das Fachforum soll hierbei im Selbstversuch auch das Proxy-Prinzip für interne Entscheidungen nutzten: Das heißt, dass jedes Mitglied berechtigt ist, zu einem Thema selbst zu entscheiden, seine Stimme an jemand anderes abzugeben, wenn mensch selbst nicht erscheinen kann oder andere Menschen für eine Aufgabe geeigneter wirken. Diese Vertrauenspersonen können ihre gewichtigere Stimme dann wieder weitergeben etc.. Damit wollen wir Erfahrung sammeln, wie Liquid Democracy funktioniert wobei der Kontext klein genug gehalten wir, um experimentieren zu können – vorerst auch ohne Software.
Quellen
http://wiki.piratenpartei.de/Liquid_Democracy
http://de.wikipedia.org/wiki/Liquid_democracy
http://liquidfeedback.org/
http://wiki.piratenpartei.de/BE:Satzung#.C2.A7_11_LIQUID_DEMOCRACY
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24455/s1.html
http://www.kuro5hin.org/story/2003/7/16/201556/896
http://freidenker.cc/?p=523
http://de.statista.com/statistik/diagramm/studie/22496/umfrage/haushalt-mit-internetzugang/
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